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Die Kunst des Wettbewerbs - Kulturstiftung Thüringen reicht für dieses Jahr 800.000 Euro aus. Freie Projekte ringen darum mit Institutionen

„Dazwischen das Meer“ hieß Ende Februar eine Uraufführung des Tanztheaters Erfurt. Die Choreografie Ester Ambrosinos wurde von der Kulturstiftung des Freistaates Thüringen gefördert. Foto: Susann Nuernberger


Von Michael Helbing
Erfurt. „Der längste Orchestergraben der Welt“ tat sich Anfang März entlang der Bahnstrecke Jena-Weimar auf. Rund 200 Musiker führten die „Ode an die Freude“ auf, als Konzert für vorbeifahrende Züge.

„Dazwischen das Meer“ hieß zwei Wochen zuvor eine im Kontor Erfurt uraufgeführte Choreographie Ester Ambrosinos, die sich zum ewigen Sehnsuchtsort begab – und mit der das Tanztheater Erfurt den Prolog seines internationalen Festivals lieferte, dessen siebte Ausgabe für September geplant wurde.

Anfang Juni fanden in Weimar die Frühjahrstage zeitgenössischer Musik statt, die fürs Publikum aus gegebenem Anlass allerdings in den digitalen Raum verlegt werden mussten. Derweil schreibt die Stadt Eisenach ihren zweiten internationalen Bach-Kompositionspreis aus . . .

Das sind vier von 69 Projekten, die die Kulturstiftung des Freistaates Thüringen für 2020 bewilligt hatte. Hinzu kommen die insgesamt zwölf Stipendien für herausragende künstlerische Leistungen in allen Sparten sowie sechs weitere für musikalisch hochbegabte Kinder und Jugendliche. Alles in allem knapp 800.000 Euro konnte die Stiftung ausreichen: ein vielfach überzeichnetes Budget, waren dafür doch 227 Bewerbungen eingegangen.

Wie jedes Jahr ereignete sich also ein Wettbewerb zeitgenössischer Kunst und Kultur, den zunächst fünf Fachjurys zu entscheiden hatten sowie schließlich, auf Basis dieser Empfehlungen, das ebenfalls mit Fachleuten besetzte Stiftungskuratorium; dessen zwölf Mitglieder gehören bereits jenen Jurys an.

Stiftung fördert notgedrungen auch, wofür sie unzuständig ist

„Im Kuratorium geht’s auch noch mal ums Feilschen“, sagt Ute Edda Hammer. Sie ist Geschäftsführerin der Kulturstiftung, die ihren Sitz im vergangenen September aus einer Erfurter Anwaltskanzlei an den Gothaer Hauptmarkt verlegte, ins Haus zur Goldenen Schelle. Dass damit durchaus keine goldenen Zeiten angebrochen sind, belegt der halbwegs auf Ausgleich bedachte Verteilungskampf um auch relativ gesehen nicht allzu hohe Mittel.

Dabei wertete die Staatskanzlei diese Stiftung öffentlichen Rechts, 2004 aus dem aufgelösten Kulturfonds der neuen Bundesländer hervorgegangen, vor zwei Jahren scheinbar auf. Sie übertrug ihr die eigene Förderung zeitgenössischer Kunst und Kultur; 500.000 der 800.000 Euro stammen aus ihrem Haushalt. Derart wollte Staatskanzleichef Benjamin Hoff (Linke) unter anderem auch das Prinzip der Doppelförderung beenden. Zuvor konnte man Projektmittel problemlos sowohl bei ihm als auch bei der Stiftung beantragen und bekam im Zweifelsfall beides bewilligt.

Auf diesem Weg warben bis dato etwa die Erfurter Kunstmuseen zwei Drittel der sogenannten Drittmittel ein, die für Ausstellungen im Angermuseum und in der Kunsthalle nötig waren, so Direktor Kai Uwe Schierz. Er sitzt zugleich dem Stiftungskuratorium vor und steht auch insofern pars pro toto für ein Dilemma, das Geschäftsführerin Hammer so beschreibt: Die Landesstiftung sei ja eigentlich nicht dazu da, Fehlförderungen zu kompensieren, wenn Kommunen zu wenig für die eigenen Kultureinrichtungen tun. „Gleichzeitig kann man die aber auch nicht im Regen stehen lassen.“

Das betrifft durchaus nicht allein die Landeshauptstadt. Dort aber tritt das Problem besonders auffällig zu Tage. Die Hälfte der insgesamt zwölf bewilligten Projekte aus und in Erfurt hatte, für Kunstausstellungen, die Stadtverwaltung beantragt, namentlich deren Kulturdirektion.

Kai Uwe Schierz spricht von einem alten Leiden an der Verwaltung, „die sich darin einig ist, uns an der ganz kurzen Leine zu halten.“ Man sei immer unterfinanziert, die Stadt stelle nur 30.000 Euro Eigenmittel bereit: maximal 10.000 Euro pro Ausstellungsprojekt, und damit ein Viertel bis Drittel der Kosten.

Bei der Kulturstiftung hatte Schierz jetzt die Hälfte dessen bewilligt bekommen, was man beantragte. „Dass Juroren nicht über eigene Projekte abstimmen, ist völlig klar“, erklärt Schierz übrigens auf Nachfrage. Geht es in Jury und Kuratorium um seine Museen, verlässt er den Raum. Ebenso hält es demnach auch Frank Motz von der ACC-Galerie Weimar.

Kassensturz nach Corona: Zusagen mit Ach und Krach gehalten

„Normalerweise versuchen wir zu vermeiden, die Jurys mit potenziellen Antragstellern zu besetzen“, sagt Ute Edda Hammer. Motz zum Beispiel sei aber dabei, „weil er sehr breit und unorthodox denkt und eine große Bereicherung ist“.

Ansonsten stellt Hammer diese Gremien zunehmend neu auf und holt verstärkt Fachleute hinzu, die nicht in Thüringen wirken. Aktuell machen sie ein Drittel bis die Hälfte der Jurys aus. Sie sagt das zwar nicht so, aber damit will die Kunsthistorikerin und Verlagsmanagerin, die 2018 als Geschäftsführerin zur Stiftung kam, wohl einem nicht ganz unbegründeten Verdacht früherer Jahre begegnen: dass sich hier Akteure gegenseitig Geld zuschieben. Sie will so aber auch ein Netzwerk über Thüringen hinaus spannen.

Eigentlich, bestätigt derweil Frank Motz, müsste sich die Kulturstiftung ausschließlich um unabhängige, freie, neue und innovative Projekte kümmern, nicht um das immer Wiederkehrende. Dass diese, im Kunstbereich, mit Galerien und Museen in Konkurrenz treten, „ist nicht von Vorteil und jedenfalls zu hinterfragen.“ Zugleich bedarf es demnach aber längerfristiger, also wiederholter Förderungen, will man frisches Blut nicht nur ins Land holen, sondern auch halten.

Motz betont, „dass es sich die Jury dabei nicht allzu einfach macht.“ Auch die ACC-Galerie erhält durch die Zusammenlegung mit Mitteln der Staatskanzlei jetzt weniger für ihr Programm als früher. „Die Kunstförderung nur über eine Institution laufen zu lassen, ist erst mal schlüssiger“, findet Motz dennoch.

Ganze Jahresprogramme sind über diesen Weg verstärkt in die Projektliste der Stiftung gelangt, etwa die der Literarischen Gesellschaft, des Thüringer Literaturrates und des Vereins Lesezeichen. Letzterer zum Beispiel hat dieses Programm inzwischen umgemünzt und bietet nun digitale Lesungen an. Hier schlug, wie überall, sozusagen das neue Corona-Virus zu, mit unterschiedlichen Ergebnissen.

Einige Projekte wurden deshalb inzwischen abgesagt: die Hofoper der Uni Jena beispielsweise, das Sommertheater des Konsortiums Luft & Tiefe oder die reguläre Sommerkomödie Erfurt. In solchen Fällen, sagt Ute Edda Hammer, könne man die Förderung zwar rein rechtlich nicht einfach auf 2021 schieben. Die Projekte müssen sich noch mal offiziell bewerben. Mit dem Hinweis auf die Bewilligung für 2020 gehe sie aber davon aus, dass sie dann noch einmal durchgehen.

Ohnehin muss die Stiftung laut Hammer all ihre Zusagen für 2020 in diesem Jahr erst erwirtschaften. Normalerweise kein Problem. „Aber jetzt sitzen wir im Corona-Jahr.“ Hammers Sorge war, dass Ausschüttungen gestoppt, Dividenden nicht erwirtschaftet würden. Nach dem Kassensturz könne man die Zusagen nun „mit Ach und Krach“ halten. Anträge für 2021 sind dann wohl ab August möglich.

10.06.2020 // Thüringer Allgemeine // Michael Helbing